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Über Tastenschatten

Tastenschatten ist nach Nachtstücke (1999) und Schatten tasten (2006) mein dritter größerer Zyklus für Klavier solo. Die sieben Stücke behandeln auf sehr unterschiedliche Art Techniken des zeitgenössischen Klavierspiels.

Das erste Stück "Unantastbar" verzichtet, wie der Name schon sagt auf jegliches "zum Schwingen bringen der Saiten“ durch herkömmliches Herunterdrücken einer Taste. Für die unterschiedlichen Bestandteile eines Klavieres wie Korpus, Saiten/Wirbel und Pedal sind jeweils eigene Systeme angelegt.

Nr. II „ Choräle“ ist der Versuch, anhand von vier gleichzeitigen Choralmelodien die Illusion unterschiedlicher Zeitebenen zu erzeugen. Die Melodien aus vier verschiedenen Bachchorälen sind ihrerseits auf allen Registern des Klaviers in unterschiedlichen Taktarten und Timbres angelegt. Das Stück konfrontiert seinerseits die polyphone Stimmführung mit einer extremen vertikalen Klanglichkeit.

Das dritte Stück "Kitschresistent" („Beschädigte Patterns“) beschäftigt sich mit den Techniken der populären Klaviermusik. In die sedierende Begleitmuster (nach dem Vorbild von Yann Thiersen) schleichen sich nach und nach Dissonanzen ein, die die Klanglandschaft aufbrechen. Sogenannte "Wohlfühlakkorde“ werden dabei aus ihrer Komfortzone gerissen. Konsonanzen erscheinen hierbei wie Dissonanzen, und Dissonanzen wie eine erhellende Auflösung.

Nr. IV „Magic Squares" wurde von dem gleichnamigen Gemäldezyklus von Paul Klee inspiriert. Es handelt sich hierbei um ein Wechselspiel von symmetrischen und asymmetrischen Clustern, die ihrerseits eine Art Klangfarbenmelodie formen. Das Tempo wechselt zwischen extrem langsamen und sehr schnellen Abschnitten. Gegen Ende lösen sich die Klänge nach und nach in Einzeltöne auf.

Nr. V „Polylinien“ sind laut Definition "technische Zeichnungselemente, die aus Folgen von geraden Linien und Kreisbogenabschnitten bestehen, wobei den einzelnen Elementen verschiedene Linienbreiten zugeordnet werden können“. In diesem Stück habe ich eine Reihe von freien und modalen Tonleiterfiguren („Extremescaling“) in gleichzeitige, polyphone Bewegungsrichtungen geführt, die ihrerseits in unterschiedlichen Zeitmaßen verlaufen. Nach einem sehr ruhigen Mittelteil entstehen aus der permanenten Beschleunigung und Verdichtung der Skalen vermehrt Akkorde und Glissandi, die das Stück auch rapide beenden.

Das sechste Stück „Inside out" behandelt die unterschiedlichen Klänge und Resonanzen von natürlichen (Saiten) und künstlichen Flageolets (stumm gedrückte Tasten). Durch die Echowirkung der Flageolettöne entsteht eine Art „cirkulierender Raumklang“.

Im letzten Stück "Out of focus - Last Blues" wird das Pedal durchgängig in unterschiedlichen Abstufungen gehalten. Zwei Bluestonleitern bilden das (zehntönige) Material für die Komposition. Gegen Ende des letzten Abschnitts summt und pfeift der Pianist parallel zu seinem Spiel. Das abrupt und geräuschvoll hochschnellende Pedal beendet das Stück und den Zyklus.

Andreas F. Staffel, Berlin, Oktober 2015

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