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Über meine vier Diotimalieder

Die Beschäftigung mit Hölderlin begann etwa mit 16 Jahren. Zu jener Zeit schenkte mir meine damalige Klavierlehrerin das Buch Hyperion. Seither habe ich viele seiner Gedichte gelesen und einige kommen mir immer wieder zu Bewusstsein, wie etwa das berühmte Hälfte des Lebens, Mein Eigentum, An die Parzen oder auch die späten Scardanelligedichte.

Inspirierend empfand ich Ende der Achtzigerjahre die Kammermusik 58 von Hans Werner Henze (In lieblicher Bläue ...) sowie die LaSalle Aufnahme von Luigi Nono´s Streichquartett Fragmente-Stille, An Diotima (eine Langspielplatte, die ich damals so häufig gehört habe, bis die berühmten Pausen von Kratzern überlagert wurden), außerdem auch die Hölderlinlieder von Rihm und den Scardanellizyklus von Holliger. (Um nur einige Werke, die sich auf Texte des Dichters beziehen, zu nennen).

Meine erste von drei Kompositionen nach Hölderlintexten (neben meinem Sextett Mitte-Schnitte und dem Chorwerk „Hold the line“, jene vier Diotimalieder) entstand 1997 und wurde im selben Jahr in der Düsseldorfer Musikhochschule uraufgeführt. Anfang dieses (Hölderlin-) Jahres habe ich diese Komposition für Sopran mit Klavier bzw. Akkordeonbegleitung überarbeitet. Am kommenden Freitag (30.10.2020) wird nun die komplette Neufassung von Yvonne Friedli und mir uraufgeführt.

Die, im Versmaß des Hexameters geschriebene, Liebeselegie Menons Klagen um Diotima entstand zwischen 1798 und 1800. Der Name Menon nimmt Bezug auf den gleichnamigen platonischen Dialog. Ich habe die erste von insgesamt neun Strophen vertont. Hölderlin beschreibt hier die rastlose Unruhe und den Schmerz nach der Trennung von seiner Diotima Susette Gontard. Aus einem anfänglichen Terzmotiv entstehen immer größere Terzverzweigungen, die die wachsende Verzweiflung symbolisieren. Die Gesangstimme wechselt zwischen kantablen Linien, Rezitation, Sprechgesang und melodischem Flüstern.

Das Gedichtfragment "Wenn aus der Ferne“ entstand 1802 als Reaktion auf die Nachricht vom Tode seiner Geliebten Susette Gontards. Hierin wird in schwankenden Tremolo-Figuren die Hoffnung auf eine Begegnung in einer besseren Welt zum Ausdruck gebracht.

Diotima, zwischen 1796 und 1798 in der Form des elegischen Distichons geschrieben, ist die hymnische Beschwörung der als gottgleich empfundenen Frauengestalt. In meiner Vertonung findet ein stetiger Wechselgesang zwischen der Sängerin und dem Pianisten statt.

Ein, ebenfalls in dieser Zeit entstandenes, gleichnamiges Gedicht ist Basis für das vierte Lied. Hierin wird eine Atmosphäre der Hoffnung und des Aufbruchs beschrieben. Aus den einzelnen Silben der ersten Strophe habe ich eine sehr schnelle Vokalise gestaltet. Der Gesangs- und Klavierpart findet überwiegend im hohen Register statt und endet abrupt „auf dem höchsten Gipfel“.

Berlin, 26.10.2020, Andreas F. Staffel

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