Über Aÿlos

Gleich zu Beginn meiner Arbeit vernahm ich am 27.07.2024 die Nachricht vom Tod Wolfgang Rihms, die mich sehr berührte. Ich hatte das große Glück, mit diesem einzigartigen Musiker und Menschen bei verschiedenen Meisterkursen zu arbeiten. So ist denn gleich zu Beginn ein vielstimmiger Cluster im Tutti zu hören, der sich allmählich auflöst. Röhrenglocken und Vibraphon intonieren das Anagram (W-O-L) F-G-A-(N)-G-(R-I-)H (Es - ist genug!). Aus den hieraus folgenden Resonanztönen bildet sich allmählich eine Trauermusik (Threonodie) der Streicher. Hieran schließt sich ein verstecktes Zitat von Wagners "Rheingold" an, das von einem Solo der Schlagzeuggruppen und den Echotönen der Holzbläser abgelöst wird. (Dies ist auch eine Hommage an Rihm, der ein großer Meister im Verwenden von historischen Zitaten war.)
Nach kanonartigen Obertonarpeggien (Sphärenkontrapunkt!) beginnt der schnelle Hauptteil (Agitato infernale). Dessen Höhepunkt zitieren Pauken und die große Trommel aus Rihms frühem Schlüsselwerk „Dis-Kontur“. Es folgt eine kurze Kadenz der Solo-Violine, die von flirrenden Flageolettremoli der vielfach geteilten Streichergruppen umrahmt wird.
Nach einer erneuten Belebung des Tempos wird der Schlussteil eingeleitet. Zitate von Gustav Mahlers Adagio aus der zehnten Symphonie („Lebe wohl“) erklingen zeitgleich mit den Liedern „Ade nun zur guten Nacht“ (Blockflöte) und „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ (Glockenspiel). Bei dem Epilog stehen sich Holzbläser und Streichergruppen flächig gegenüber. Die Übergänge von gehauchten zu äolischen Tönen, realen Klängen hin zu Flageolettönen sind unmerklich. So begegnen etwa Flautando-Klänge der Streicher den flötenden Passagen der Holzbläser.
Der Titel "Aÿlos" bezieht sich auf den gleichnamigen Gott aus der griechischen Antike, der sowohl den Wind als auch das Un-Greifbare (Unbegreifliche) darstellt. *Zitate in dieser Komposition sind wie kurze Andeutungen, die ich nahtlos in das Gewebe meiner Partitur eingefügt habe. Sie gleichen Fenstern und Türen, die sich kurz nur einen Spalt weit öffnen und gleich wieder schließen. Hierbei handelt es sich um Stücke von Richard Strauss ("Also sprach Zarathustra"), Richard Wagner ("Das Rheingold"), Wolfgang Rihm ("Dis-Kontur"), Debussy ("La Mer"), Alban Berg ("Drei Orchesterstücke"), Tristan Murail ("La Barque mystique") sowie um die schon erwähnten Volkslieder.
Berlin, 2.08.2025
Andreas F. Staffel
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